Nicht nur in Deutschland, sondern fast überall auf der Welt gibt es das zweigeteilte Geschlechtersystem ‚männlich // weiblich‘. Es ist bereits so fest in unseren Alltag integriert, dass wir uns darüber häufig gar keine Gedanken mehr machen. Wie automatisch gehen wir entweder in die Frauen- oder Männertoilette bzw. in die Frauen- und Männerumkleide. Damit wachsen wir auf und es fühlt sich komisch, gar verboten an, ‚die falsche Tür‘ zu betreten… (*Mancherorts gibt es auch schon Unisex-Toiletten, allerdings sind sie bisher eher selten.)
Beim Kleidungs- oder Spielzeugkauf gibt es ebenfalls eine deutlich erkennbare Trennung zwischen Jungs und Mädchen, Männern und Frauen. Es gibt sogar Hygiene- und Kosmetikprodukte, oder manche Lebensmittel, die gezielt Mädchen oder Jungen bzw. Frauen oder Männer ansprechen wollen. Die Produktverpackungen für Männer kommen meist in dunklen Farben daher, braun, (dunkel)blau oder schwarz. „Weibliche Produkte“ haben dagegen meist zarte und helle Pastellfarben, wie rosa, beige, orange oder gelb. Kommt Ihnen das auch bekannt vor? Was stellen Sie fest, wenn Sie z. B. ihre Kosmetikprodukte im Bad betrachten?
Die gezielte Gestaltung der Produkte wird bezeichnet als „Gender-Marketing“. Etwas überspitzt aber ziemlich eindeutig zeigt dies ein kurzer Video-Beitrag von extra 3:
Mit dem Geschlecht verbinden wir von klein auf bestimmte Eigenschaften und Rollen: Männer werden oft als „das starke Geschlecht“ oder als „Beschützer“ gesehen. Sie sind geradlinig, pragmatisch und weniger launisch, dafür nicht so empathisch und einfühlsam. Sie zeigen ihre Gefühle weniger oft und deutlich und lernen schon von klein auf, keine Schwäche zu zeigen. In handwerklichen, naturwissenschaftlichen und technischen Berufen findet man sie häufiger. Außerdem haben Männer oft die Rolle des „Ernährers“ der Familie. Bis vor einigen Jahren wurden Führungspositionen oder politische Ämter auch hauptsächlich von Männern besetzt (dies ändert sich jedoch glücklicherweise seit einigen Jahren). Durch unterschiedliche Positionen und Berufsgruppen kommt es jedoch oft zu höherer Bezahlung bei Männern.
Frauen sind eher einfühlsam, fürsorglich und gesprächig. Sie sind die „Kümmerer“, schmeißen den Haushalt und sind häufig für die Pflege und Betreuung der Kinder oder (Schwieger-)Eltern bzw. Großeltern verantwortlich. Frauen scheinen nicht so gut in mathematischen und naturwissenschaftlichen Angelegenheiten zu sein… oder beim Einparken. Klischees, die die meisten von uns wahrscheinlich kennen. Frauen ergreifen insgesamt häufiger soziale oder pflegerische Berufe, die leider niedriger bezahlt werden und weniger Aufstiegschancen bieten. Auch gehen nach der Geburt eines Kindes die Frauen deutlich häufiger in eine mehrmonatige oder mehrjährige Elternzeit oder arbeiten danach in Teilzeit.
Diese Rollenklischees halten sich hartnäckig über die Generationen hinweg. Wie sind die Rollen bei Ihnen Zuhause verteilt? Finden Sie sich in diesen Beschreibungen wieder oder ist es vielleicht genau andersherum?
Der Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen durch unterschiedliche Positionen, Berufe und / oder Arbeitszeiten wird bezeichnet als „Gender Pay Gap“ (Quelle: https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-1/gender-pay-gap.html). Seit 2008 wird daher jedes Jahr im Frühjahr in 32 Ländern weltweit, darunter in Deutschland, der ‘Equal Pay Day‘ veranstaltet. Das Ziel dieses Tages ist es, auf diese Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen aufmerksam zu machen. Dieses Jahr fällt er auf den 07. März 2022. – Warum gerade dieser Tag?
Die Grundlage stellt eine bestimmte Berechnung dar:
Laut Statistischem Bundesamt beträgt der geschlechterspezifische Entgeltunterschied in Deutschland aktuell (2021) 18 Prozent. Umgerechnet ergeben sich daraus 66 Tage (18 Prozent von 365 Tagen), die Frauen seit Jahresanfang „unentgeltlich“ arbeiten müssen. Der 07. März markiert diesen 66. Tag und hat also vor allem einen symbolischen Charakter. Das Datum kann von Jahr zu Jahr leicht variieren (2020 waren es 19 % und 2016 bis 2019 waren es 21 %). Seit 2016 verringert sich der Verdienstunterschied von Jahr zu Jahr leicht.
Es gibt mehrere Gründe für die Verdienstunterschiede zwischen Frauen und Männern. Dabei spielen gesellschaftliche Vorstellungen und Normen auch eine wichtige Rolle:
Ob und inwiefern die Berufswahl eher mit persönlichen Eigenschaften oder Fähigkeiten des jeweiligen Geschlechts zusammenhängt, oder vielmehr von gesellschaftlichen Vorstellungen und Normen oder der Berufsorientierung in der Schule beeinflusst wird, ist sicherlich eine Diskussion wert! An vielen Schulen gibt es bereits den Girls'Day / Boys'Day – an diesem Tag können Mädchen vor allem in männerdominierte Berufe Einblick erhalten, Jungen eher in frauendominierte Berufe. Der nächste Girls- bzw. Boys-Day findet am 28.04.2022 statt. Auch die Initiative „Klischeefrei“ setzt sich für eine Berufswahl ohne Rollenklischees / Geschlechterklischees ein.
Zu guter Letzt soll es noch einmal um die anfangs angesprochene ‚geschlechtsneutrale Erziehung‘ gehen. Diese will sich von traditionellen Rollenbildern lossagen und Klischees vorbeugen. Kinder sollen eben nicht „typisch männlich oder typisch weiblich“ erzogen werden und sich dadurch freier und unabhängiger entwickeln können. Dazu gehört auch, dass wir Erwachsenen auf unsere Worte und Sprache achten. Wie wir mit und über unsere Kinder sprechen vermittelt ihnen ebenfalls gewisse Vorstellungen (z.B. „Jungs weinen doch nicht“ oder „Sei kein Mädchen!“).
Vorreiter dieses pädagogischen Ansatzes gibt es bereits in Schweden und Island, aber auch in den USA. Ein besonderes Beispiel ist der Stockholmer Kindergarten ‚Egalia‘ – hier werden alle Kinder gleichbehandelt und das Geschlecht der Kinder nicht thematisiert. Es wird bei der Ansprache die Formulierung „Hen“ genutzt - was auf Deutsch so viel wie „es“ bedeutet. Mehr dazu finden Sie in diesem Beitrag: https://www.swr.de/wissen/odysso/broadcastcontrib-swr-33558.html.
Sicherlich spalten sich bei einer so radikalen Umsetzung wie in Schweden die Geister. Bisher ist sich auch die Forschung nicht einig, welche Form der Erziehung (geschlechterbetont oder geschlechterneutral) wirklich besser ist. Jedoch kann ein wenig mehr Sensibilität hinsichtlich Geschlechter-Stereotypen nicht schaden. Letztendlich müssen Sie als Eltern vor allem selbst entscheiden, welchen Weg Sie gehen möchten, um Ihr(e) Kind(er) bestmöglich zu fördern und ihnen den Weg zu einer möglichst chancenreichen Zukunft zu ebnen.
Lesen Sie auch gern unseren Artikel zum Thema "Gleichstellung der Geschlechter".
Weitere Quellen: