Alkohol in der Schwangerschaft - Die Arbeit der FASD Beratungsstelle

Lassen Sie uns in diesem Blogartikel einen Blick auf das sensible Thema in unserem Bundesland werfen. Was macht eine FASD Beratungsstelle eigentlich? Was sind die Aufgaben bzw. Arbeitsschwerpunkte? Wie werden Betroffene bzw. Angehörige unterstützt, die Hilfe suchen? Wie wichtig ist Aufklärung?
Diese und noch weitere Fragen beantwortet Cornelia Kirsten von der FASD Beratung für Rostock & M-V.

Hallo Frau Kirsten, danke, dass Sie sich Zeit für den Blog nehmen. Stellen Sie sich bitte einmal kurz vor.

Vielen Dank, dass ich die Beratungsstelle und mich hier vorstellen darf. Ich habe viele Jahre lang an der Uni Rostock ein Lektorat am Sprachenzentrum der Universität Rostock geleitet und Fremdsprachen unterrichtet. Da ich aber seit vielen Jahren Pflegemutter bin, darüber sehr viel Kontakt zum Thema FASD hatte, habe ich im vergangenen Jahr den Sprung gewagt. Mein eigenes Pflegkind hat FASD und die schlechte Versorgungslage für Menschen mit dieser Behinderung bewegt mich seit Jahren. So kamen die Rostocker Stadtmission e.V. und ich als Diplom-Pädagogin und FASD-Fachkraft zusammen und eröffneten im Oktober 2022 gemeinsam die Beratungsstelle für Rostock und das gesamte Bundesland. Ich bin Projektkoordinatorin und FASD-Fachberaterin und sehr glücklich in dieser neuen Tätigkeit.

Seit wann gibt es die FASD Beratungsstelle Rostock & M-V? Was sind Ihre Aufgaben und Arbeitsschwerpunkte?

Die Beratungsstelle wurde am 01.10.2022 eröffnet und zwar nur einen Tag nach Zusage der Förderung durch die Aktion Mensch. Dort hatten wir unser Konzept eingereicht und werden für mind. 4 Jahre durch die Aktion Mensch mitfinanziert. Unsere Beratungsstelle hat sich ihrem Namen entsprechend vor allem Beratung auf die Fahnen geschrieben. Zu uns kommen Menschen mit FASD (und FASD-Verdacht), Familien alles Art mit Kindern mit FASD sowie Fachleute, vorrangig aus pädagogischen und therapeutischen Bereichen, die mit Kindern und Jugendlichen mit dieser Erkrankung bzw. Behinderung arbeiten.
Dazu machen wir Präventionsveranstaltungen in Schulen, Vorträge bei diversen Interessierten und Öffentlichkeitsarbeit in Bezug auf FASD. Wir unterstützen Veranstaltungen, die direkt für Menschen mit FASD angeboten werden und bieten Fortbildungsmöglichkeiten für Fachkräfte.

Wie geben Sie Unterstützung und Hilfe?

Im Präventionsbereich sind wir so wichtig, weil das vermeintliche Allgemeinwissen darüber, dass Alkohol in der Schwangerschaft schädlich für das ungeborene Kind sein kann, nicht wirklich gut verankert ist. Angesichts von 58% der deutschen Schwangeren, die Alkohol konsumieren und 44% der Deutschen, die nicht wissen, dass vorgeburtlich konsumierter Alkohol das Kind nahhaltig schädigen kann, ist Aufklärung für uns wesentlicher Bestandteil unserer Arbeit.

In der Beratung ist das Zuhören das A und O, denn die Ratsuchenden hatten bisher keine fachlich kompetenten Ansprechpartner*innen in MV, die verstehen, wie das Leben mit FASD sich für alle Beteiligten anfühlt. Wir besprechen oft das Helfendennetzwerk und die Möglichkeiten, Unterstützungsangebote anzuzapfen, erklären die Behinderung und ihre Auswirkungen, intervenieren in Krisen z.B. mit Schule oder Arbeitgeber*innen, vermitteln Kontakte zu Diagnostikstellen, beraten bei Hilfeplan- und Teilhabegesprächen usw. Besonders wesentlich ist die Entlastung der Angehörigen, mit denen wir immer wieder schauen, wo dieser Angebote zu finden sind.

Aufklärung zu FASD ist sehr wichtig. Wie fördern Sie die Prävention?

Alkoholkonsum in der Schwangerschaft kann zu fetalen Alkoholschäden führen und das Risiko wird aktuell noch sogar von Fachleuten massiv unterschätzt. Entscheidend ist, dass FASD absolut KEIN ausschließliches Problem suchterkrankter Frauen ist. Alle Frauen, die nicht ab Planung der Schwangerschaft bis zum Ende der Stillzeit bewusst abstinent sind, sind Risikogruppe. Bereits klein(st)e Mengen an Alkohol können das Ungeborene nachhaltig schädigen und dies von Beginn der Schwangerschaft an!
Wir sprechen mit Medien, wir gehen zu diversen Fachtagen, halten Vorträge – idealerweise in der Mitte der Gesellschaft, denn die FASD entsteht genau dort. Die hirnorganischen Schädigungen sind nicht sichtbar, zeigen sich oft nur in auffälligen Verhaltensweisen und darüber klären wir ebenso auf wie über die Entstehung der Behinderung.

Besonders wichtig sind uns Schulprojekte und Präventionsveranstaltungen, um die künftigen Generationen über die Risiken aufzuklären und für Vermeidung von Alkoholkonsum in der Schwangerschaft zu sensibilisieren. Es macht unglaublich viel Spaß, mit den jungen Menschen zu arbeiten, die Fragen und Diskussionen sind immer spannend. Wichtig ist die Nachhaltigkeit und Wiederholung unserer Botschaften, es geht um individuelle und gesamtgesellschaftliche Verantwortungsübernahme.

Wie erkennt man FASD bei Kindern? Welche Anzeichen gibt?

Grundsätzlich gilt FASD als unsichtbare Behinderung, da der Hirnschaden nicht äußerlich erkennbar ist. Unter der Überschrift FASD gibt es drei Diagnosen:

  1. FAS (fetales Alkoholsyndrom) zeigt sich in gewissen Gesichtsmerkmalen und kleinem Wuchs, dazu kommen die Auffälligkeiten des zentralen Nervensystems durch den alkoholbedingten Hirnschaden. Alkohol ist ein Zellgift und geht ungehindert über die Plazenta zum Ungeborenen. Dort beeinflusst er die Entwicklung in unterschiedlichem Maße in Zusammenhang mit verschiedenen Einflüssen. Jedoch wirkt er immer auf das Gehirn, selbst in der Frühschwangerschaft schon. Alkohol löst Hirnzellen und die isolierende Fettschicht um Nervenbahnen auf, so dass weniger Hirnmasse da ist und die Weiterleitung von Nervenreizen z.T. massiv gestört ist. Dadurch entstehen Verhaltensbesonderheiten unterschiedlichster Art. Spätestens ab Schulalter zeigt sich oft die mangelnde Alltagskompetenz als Folge des vorgeburtlichen Alkoholkonsums.
  2. Beim pFAS (partiellen fetalen Alkoholsyndrom) gibt es einige wenige Gesichtsmerkmale, das Wachstum ist unbeeinflusst. Auffallend ist wiederum das Verhalten, jedoch braucht es für die Diagnose Wissen um den Alkoholkonsum der leiblichen Mitter.
  3. Die dritte Diagnose ist ARND (alkoholbedingte, entwicklungsneurologische Schädigungen), die sich nur noch im Verhalten zeigen. ARND ist komplett unsichtbar und leider gibt es mangels Auskunft über vorgeburtlichen Alkoholkonsum diese Diagnose nicht so oft, wie sie nötig wäre.
    Wichtig ist, etwas simpel ausgedrückt: Hat ein Mensch Diagnosen, aber die indizierten Medikamente, Therapien und pädagogische Interventionen aus dem Standardspektrum greifen nicht – liebe Ärzt*innen fragt nach Alkohol in der Schwangerschaft. Es geht nicht um eine Stigmatisierung der Mütter!! Frauen wollen nicht bewusst ihre Kinder schädigen, aber diese Frage hilft, um Verantwortung zu übernehmen und die richtigen Therapien für den Menschen zu finden.

Welche Auswirkungen hat FASD in den verschiedenen Altersstufen (Säugling, Kleinkind, Teenager, Erwachsener)?

Die Auswirkungen sind sehr unterschiedlich. Wir sprechen von einer Spektrumstörung mit 428 möglichen Symptomen, die individuell ausgeprägt sind. Säuglinge fallen oft durch Schluck- und Trinkschwierigkeiten und starke Regulationsstörungen sowie eingeschränkte Motorik auf. Laufen Kinder in der Kita oft noch mit, treten massive Schwierigkeiten häufig im Schulalter auf. Anforderungen sind trotz beispielsweise durchschnittlichem IQ oft zu hoch, da die sogenannten Exekutivfunktionen beeinträchtigt sind – also Handlungsplanung, Motivation, vorausschauendes Denken, Inhibition, geistige Flexibilität usw.

Menschen mit FASD verarbeiten Informationen oft stark verlangsamt und leiden nicht selten unter demenzähnlichem Vergessen. Häufig kommen ADHS, Autismus, Lese-Rechtschreibschwäche, Matheschwäche (Diskalkulie) und andere Diagnosen dazu, sind aber eigentlich Symptome von FASD.
Je älter die Menschen mit FASD werden, desto schwerer wird die Alltagsbewältigung, da Verselbständigung erwartet wird. Diese ist mit vielen Ausprägungen der Behinderung nicht möglich. 80% der Betroffenen sind als Erwachsene in einigen oder allen Lebensbereichen auf Betreuung und Unterstützung angewiesen und dies IQ-unabhängig! FASD ist nicht heilbar.

Können spezielle Therapien oder andere Unterstützungsmaßnahmen bei FASD unterstützend wirken?

Therapien können FASD nicht verändern, aber die Auswirkungen des Störungsbildes minimieren. Auch hier gilt: Kennst du Einen, kennst du Einen! Es muss immer auf die individuelle Ausprägung von FASD beim Menschen geschaut werden, um geeignete Therapien zu finden.
In jungen Jahren profitieren Menschen mit FASD oft von heilpädagogischer Frühförderung, Logopädie, Ergotherapie und Physiotherapie. Ergotherapie und körperbasierte, sinnesorientierte Psychotherapien greifen oft auch gut im Erwachsenenalter. Tiergestützte, naturtherapeutische Angebote können ebenfalls sehr hilfreich sein. Sport und die freie Natur wirken auch bei Menschen mit FASD unterstützend. Bei den Therapien geht es oft es um das Trainieren der Bedürfnis- und Grenzwahrnehmung, das Verstehen von Emotionen und Gefühlen.

Traumatherapie ist schwierig bei FASD, zumindest wenn sie stark kognitiv angelegt ist. Durch das demenzähnliche Vergessen und die stark eigeschränkte Sprachrezeption, also das gestörte Verstehen von Gesprächen und Zusammenhängen beispielsweise gibt es keine Fortschritte und macht ggf. die Lage für Einzelne noch schlimmer. Auch kognitiv angelegte Psychotherapien sind teilweise kritisch zu bewerten.
Im Erwachsenenalter empfiehlt sich Soziotherapie, aber davon gibt es deutlich zu wenig Angebote. Auch andere Therapieformen können hilfreich sein, diese sind aber teils selbst zu bezahlen.

Wichtig ist: auch medikamentöse Therapien haben ihre Berechtigung und können – gut überwacht und mit viel Aufklärung – den Leidensdruck beim Menschen mit FASD senken.

Welche Fragen werden Ihnen am häufigsten von Betroffenen, Familien bzw. Angehörigen gestellt?

Zuerst einmal kommt besonders im Erwachsenenbereich die Frage, wo die Diagnostik machbar ist und die Antwort ist: es ist sehr schwer und gibt kaum Stellen. Die Frage kommt auch im Kinder- und Jugendbereich, da profitieren wir in MV von der Rostocker Kinder- und Jugendpsychiatrie, die eine FASD Spezialsprechstunde anbietet. Aber auch andere MVZs und SPZs diagnostizieren in unserem Bundesland, wobei die Qualität unterschiedlich ist.

Die Menschen kommen tatsächlich aber weniger mit Fragen zu mir, als häufiger mit komplexen Problemlagen. Grundlage dieser Probleme ist (fast) immer mangelndes Wissen, Verständnis und wenig Bereitschaft in der Umwelt, sich mit dem Störungsbild FASD auseinanderzusetzen. Man lastet das auffällige Verhalten dem Kind, Jugendlichen oder Erwachsenen an nach dem Motto: „Du bist faul, verweigerst dich, ignorierst, provozierst, störst usw. Du willst dir keine Mühe geben.“

Tatsächlich ist es aber kein Nicht-Wollen, sondern ein hirnorganisch bedingtes „Nicht-Können“, welches nur falsch interpretiert werden kann, wenn Kita, Schule, Ärzteschaft, Arbeitsplätze, Nachbar*innen, Freund*innen … die gesamte Gesellschaft nicht endlich FASD verstehen lernt.
Menschen mit FASD WOLLEN dazu gehören, sie wollen sich anpassen und gemocht werden, sie sind einfach Menschen! Leider macht die Behinderung dies oft schwierig, wenn das Umfeld nicht aufgeklärt ist. Die Gesellschaft muss sich anpassen, die Schule, die Arbeit. Denn Menschen mit FASD können diese Anpassungsleistung bei allem Wollen nicht vollbringen.

Kontaktaufnahme: Wo ist die FASD Beratungsstelle zu finden? Wer ist Träger der Beratungsstelle?

Wir sind auf vielfältigem Wege erreichbar. Die Rostocker Stadtmission e.V. als Träger der Beratungsstelle hat eine Website eingerichtet mit den wesentlichen Informationen: https://rostocker-stadtmission.de/fasd-beratungsstelle-m-v Wir beraten vor Ort, telefonisch und per Email sowie Videokonferenz.

Auch bei Social Media sind wir vertreten: www.facebook.com/FASDBeratungsstelleHROundMV oder www.instagram.com/fasd_beratungsstelle_mv/ Am schnellsten nehmen Sie über die Telefonnummer 0151 22420953 mit uns Kontakt auf oder per fasd@rostocker-stadtmission.de

Wir freuen uns, von Ihnen zu hören, sollten Sie Interesse an der Arbeit haben, Fortbildungswünsche oder Beratungsanliegen haben!

Vielen Dank für Ihre Zeit & Ihr Engagement!

 

Einblick in den Alltag einer Familienhebamme

Frau Schloss was ist eine Familienhebamme (bzw. eine FGKiKP) und was ist Ihre Aufgabe?

Das ist eine staatlich anerkannte und ausgebildete Hebamme/Kinderkrankenschwester mit einer Zusatzqualifizierung (dauert in der Regel ca. 1 Jahr) zur FGKiKP/Familienhebamme. Diese übernimmt die Betreuung von Familien ab der 9. Lebenswoche des Kindes bis zum Ende des ersten Lebensjahres. Vorrangig sind Familienhebammen bzw. FGKiKP in Familien mit schwierigen Lebensumständen (z. B. bei Suchtproblemen oder bei finanziellen Problemen) tätig und unterstützen die Familien bei der Versorgung von Kindern.
Familienhebamme Karina Schloss

Wo finde ich eine Familienhebamme/FGKiKP, wenn ich eine Familie mit Problemen habe?

Eine Familienhebamme finden Sie über das zuständige Gesundheitsamt im Landkreis, die Ansprechpartner sind auf der Homepage der Landesfachstelle Familienhebammen in M-V vermerkt (www.familienhebammen-in-mv.de). . Wichtig ist ein gutes Netzwerk, so dass Kinderärzte, Kliniken, Gynäkologen, Hebammen usw. über die Tätigkeiten von Familienhebammen und FGKiKP´s Bescheid wissen und an das Amt vermitteln können.

Wie viele Familienhebammen/FGKiKP gibt es in M-V bzw. im Landkreis Rostock?

In ganz Mecklenburg-Vorpommern gibt es aktuell circa 40 aktive Fachkräfte und im Landkreis Rostock 5 bis 6 Familienhebammen/FGKiKP.

Wie gestaltet sich Ihre Arbeit? Üben Sie diese hauptberuflich aus?

Ich selbst mache es nebenberuflich und arbeite in der KMG Klinik in Güstrow. Gut ist, dass man die Familien dann schon in der Klinik kennenlernt und bereits Vertrauen aufgebaut hat. Durch das gute Netzwerk kennen sich alle gegenseitig und wir stehen in einem guten Kontakt untereinander. Die Kolleg*innen von der Gynäkologie in der KMG Klinik melden sich bei mir, wenn sie bei Familien einen Unterstützungsbedarf erkennen. Ich kann mich bei den Familien vorstellen und Vertrauen aufbauen. Aus Erfahrung laufen die Fälle, die bereits in der Klinik anlaufen, sehr gut.

Was ist denn bisher Ihr schönstes Erlebnis in einer Familie?

Das kann ich genau sagen - die zweite Familie, die ich betreut habe: Der Unterstützungsbedarf ist schon in der Klinikdeutlich geworden. Die Eltern lehnten anfangs alle Hilfsangebote ab. Nach einigen Wochen kam dann die Anfrage über das Jugendamt an meine Koordinatorin im Gesundheitsamt. Da ich die Familie bereits kannte, nahm ich den Fall an. Es gab viele Versuche den Kontakt zur Familie aufzubauen und es hat lange gedauert bis das Vertrauen da war. Es entwickelte sich eine tolle gegenseitige Zusammenarbeit und ich betreute die Familie und das Kind bis zum ersten Lebensjahr. Zum 1. Geburtstag des Kindes wurde ich mit eingeladen und mit einem Geschenk verabschiedet.

Ist es häufiger so, dass Familien anfangs skeptisch gegenüber der Hilfe sind und am Ende doch sehr dankbar? Bei welchen Problemen helfen Sie den Familien am häufigsten?

Ja, vor allem Familien, bei denen die Anfrage über das Jugendamt an das Gesundheitsamt kommt, sind anfangs sehr skeptisch. Sie haben eine kleine Hemmschwelle zum Jugendamt und sind dann aber doch offen, wenn sie hören, dass ich Familien- Gesundheits- und Kinderkrankenschwester bin.
Dieses Jahr habe ich ca. 10 Familien betreut. Ich begleite die Familien bei Fragen zur Ernährung des Kindes, Problemen bei der Haushaltsführung, finanziellen Problemen (z. B. Schulden, Suchtprobleme) oder psychischen Auffälligkeiten bei den Eltern.

Wie lange betreuen Sie die Familien durchschnittlich?

Durchschnittlich tatsächlich bis zum 1. Lebensjahr. Denn im Gespräch merkt man, dass Vertrauen da ist und man sich aneinander gewöhnt hat. Manchmal geht sie sogar über das 1. Lebensjahr hinaus. Es gibt eine Familie, die ich noch nachbetreue aufgrund einer speziellen Belastung (Suchtprobleme der Eltern).

Was macht Ihnen bei Ihrer Arbeit am meisten Spaß?

Ganz klar ist es ein toller Ausgleich zu meiner Arbeit in der Klinik. Ich habe längeren Kontakt zur Familie, ich sehe die Entwicklung des Kindes und die Erfolge und die Dankbarkeit der Eltern. Ich gehe immer zufrieden nach den Hausbesuchen nach Hause.

Was ist Ihrer Meinung nach das Wichtigste, was Kinder von ihren Eltern benötigen?

Ganz klar: Liebe, Geborgenheit und Sicherheit.

Was machen Sie, wenn eine Familie kein deutsch spricht? Ist das bereits vorgekommen?

Ja, sowohl bei der Arbeit in der Klinik als auch als FGKiKP. Ich betreue gerade eine Familie mit Migrationshintergrund, das ist etwas schwieriger. Aber zum einen gibt es einen tollen Übersetzer im Handy und erfahrungsgemäß ist oft ein Dolmetscher dabei. Zur Not mit Händen und Füßen.

Was machen Sie, wenn eine Familie Ihrem Rat nicht folgen möchte bzw. es nicht schafft?

Wichtig ist, es immer wieder zu versuchen und Verständnis zu zeigen. Viel reden und versuchen, sie davon zu überzeugen, dass der Tipp vielleicht nicht schlecht ist. Wenn es gar nicht klappt, dann andere Hilfe- und Unterstützungsmöglichkeiten suchen z. B. bei den Netzwerkpartnern.

Wie läuft es generell, wenn Sie neu in eine Familie kommen? Haben Sie dann schon Gedanken dazu, wo Sie sie unterstützen können? Oder baut sich das auf?

Es baut sich langsam auf. Oft habe ich nur die Anfrage vom Gesundheitsamt und ein paar kurze Informationen. Aber ich mache mir grundsätzlich gern ein eigenes Bild und entscheide vor Ort bei der Familie.

Wie ist es im Verlauf der Zusammenarbeit? Welche Themenbereiche nehmen die Eltern gern an und bei welchen ist es generell etwas schwieriger?

Speziell auf die Ernährung des Kindes bezogen nehmen die Eltern die Unterstützung sehr gut an. Wahrscheinlich, weil ich Kinderkrankenschwester mit 30 Jahren Erfahrung bin und auch ein eigenes Kind habe. Die Hemmschwelle ist bei Suchtproblemen und finanziellen Angelegenheiten größer, weil die Familien sich zum Teil schämen und nicht darüber reden wollen... das ist dann meist ein längerer Prozess.

Was ist bei der Zusammenarbeit am wichtigsten (neben dem Vertrauen)?

Für mich ist die längere Betreuung wichtig. Dadurch erkennt man die Defizite bzw. Problemlagen in der Familie und kann diese in kleinen Schritten besprechen und Hilfe suchen. Das finde ich sehr wichtig und das ist bei einer kurzweiligen Betreuung nicht so möglich. Man muss sensibel vorgehen. Jede Familie ist unterschiedlich. Manche sind sehr offen und manche sehr verschlossen und haben psychische Probleme. Da muss man vorsichtig sein mit seiner Wortwahl.

Sie haben bereits viele Familien begleitet und kennen die Probleme und Bedarfe. Was würden Sie sich von der Gesellschaft oder auch von der Politik wünschen, um manche Probleme gar nicht erst entstehen zu lassen?

Ich wünsche mir mehr Aufklärungsarbeit und eindeutig mehr Aufmerksamkeit für unsere Arbeit. Dass die Information zu den Familienhebammen und Familien-Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin mehr in die Familien geht und sie wissen, dass es da Hilfe gibt. Von der Gesellschaft wünsche ich mir, dass wieder mehr zugehört und miteinander gesprochen wird. Und, dass sich untereinander mehr geholfen wird und man gegenseitig aufeinander aufpasst.
Und von der Politik ganz klar, dass einige Anträge einfacher gestaltet werden müssen. Die finde ich selbst sehr kompliziert und für manche Familien sind sie unüberwindbar. Da brauchen sie unbedingt Hilfe.

Ich denke wir haben alles gut angeschaut. Ihre Familien, die generelle Arbeit und warum es Ihnen so Spaß macht. Herzlichen Dank für das Interview!

 

Hintergrundinformation:
Das Landesprogramm Familienhebammen wird vom Ministerium für Soziales, Gesundheit und Sport Mecklenburg-Vorpommern seit 2008 gefördert. Es stellt ein wichtiges Angebot im Rahmen der Frühen Hilfen dar. Ziel ist es jungen Familien frühestmögliche Angebote zur Stärkung ihrer Beziehungs- und Erziehungskompetenz zur Sicherung des Kindeswohles zu unterbreiten. Ein wesentlicher Beitrag dieses Ziel zu erreichen ist der Einsatz von Familienhebammen und Familien-Gesundheits- & Kinderkrankenpflegerinnen.

Die Frühen Hilfen in Mecklenburg-Vorpommern umfassen verschiedene Unterstützungsangebote. Diese werden in Netzwerken Frühe Hilfen koordiniert. Hier arbeiten Fachkräfte aus unterschiedlichen Bereichen der Frühen Hilfen zusammen: Fachkräfte aus dem Gesundheitswesen, der Schwangerschaftsberatung, der Frühförderung und der Kinder- und Jugendhilfe und noch viele mehr. Die Fachkräfte tauschen ihr Wissen über ihre jeweiligen Angebote aus und stimmen diese aufeinander ab, um Sie als Familie bestmöglich unterstützen zu können. Netzwerkkoordinator*innen steuern und begleiten die Vernetzungsarbeit in Ihren Landkreisen und kreisfreien Städten.

Im Gespräch mit... Familienhafen in Greifswald

Was genau ist der Familienhafen Greifswald?

In einem Hafen kann man sich ausruhen und Kraft schöpfen. Gleichzeitig sind Häfen Ausgangspunkt für Reisen und neue Abenteuer. Beides möchte der Familienhafen Greifswald am ISBW sein. Wir unterstützen einerseits die Bindung zwischen Eltern und Kindern und stärken die Familien von Anfang an. Andererseits bieten wir Anregungen und Inputs, wie die Entwicklung der Babys und Kinder gefördert werden kann und was getan werden kann, wenn es mal nicht so gut läuft. Insgesamt sind wir bei allen Fragen zum Familienleben da.
Frau mit Kleinkind auf dem Arm und im Hintergrund sind Segelboote. Logo Familienhafen Greifswald am ISBW

Welche Angebote bietet mir der Familienhafen?

Aktuell gehören der bindungsorientierte Eltern-Kind-Kurs „Abenteuer Baby – Bindungsorientiert durchs erste Jahr“ sowie eine Baby-/Kleinkindsprechstunde zum Programm des Familienhafens.

Was erwartet mich im Eltern-Kind-Kurs „Abenteuer Baby – Bindungsorientiert durchs erste Jahr“?

Im Alltag werden Eltern oft mit Ratschlägen überhäuft und kritische Fragen werden gestellt. Abenteuer Baby unterstützt Eltern darin, sicherer im Umgang mit ihrem Baby und der Umwelt zu werden. In einer kleinen, vertrauten Runde geht es auf Entdeckungsreise durch das erste Jahr mit dem Baby. Dabei werden Themen wie Schlaf, Entwicklung, Bindung, Milch, Beikost besprochen. Wir sprechen über die Fragen, die Familien tatsächlich bewegen.
Darüber hinaus werden neue und kreative Möglichkeiten, die Entwicklung des Babys spielerisch zu begleiten, gezeigt und gleich ausprobiert. Zum Wohlfühlen und Entspannen lernen die Eltern Elemente aus der Babymassage kennen.
Dabei ist viel Zeit für den Austausch der Eltern untereinander und für die ersten Kontakte der Babys miteinander.

Muss ich irgendwelche Voraussetzungen für den Besuch der Kurse erfüllen?

Der 6-wöchige Kurs kann im ersten Lebensjahres des Babys besucht werden, gerne auch direkt im Anschluss an das Wochenbett. Jede Mutter, jeder Vater, aber auch Großeltern und Erziehende sind mit dem Baby willkommen. Wer Lust auf einen Babykurs hat, meldet sich an und kommt vorbei - es muss nicht immer PEKiP oder DELFI sein, Eltern können in Greifswald gerne auch einmal „Abenteuer Baby“ ausprobieren.

Mit welchen Fragen kann ich in die Baby- und Kleinkindsprechstunde kommen?

Wenn ein Baby auf die Welt kommt, ist alles aufregend und die Gefühle sind unbeschreiblich. Doch nicht immer ist alles nur schön und manchmal wird vieles zu viel und die Welt steht auf gewisse Weise Kopf. Tausend Ratschläge von außen – manchmal ist etwas Hilfreiches dabei und manchmal wird die Verunsicherung dadurch nur noch größer. „Warum schläft mein Baby nicht einfach ruhig in seinem Bettchen? Warum lässt es sich nicht ablegen? Sollte es nicht schon durchschlafen? Warum weint es so viel?“

Wir bieten Begleitung an. Systemisch, lösungs- und bindungsorientiert. Gemeinsam suchen wir nach Lösungen, wie die Situation entspannter werden kann und das Leben mit dem Baby wieder leichter. Wir werden kein Schlaftraining vereinbaren und es gibt kein Patentrezept, das bei allen passt. Stattdessen schauen wir gemeinsam, was die Stärken und Ressourcen der Familie sind und wie Eltern auf Ihre Gefühl vertrauen lernen können, denn sie sind die Experten für ihr Kind.

Die Sprechstunde richtet sich an werdenden Eltern und Eltern von Kindern in den ersten drei Lebensjahren.

Wie ist das Ganze in den Bereich der Frühen Hilfen eingebunden?

Der Babykurs und die Sprechstunde werden durch die Bundesstiftung Frühe Hilfen und des Aktionsprogramms „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche 2021/2022“gefördert. Dadurch sind die Angebote für die Familien gebührenfrei.

 

Kontakt:

Familienhafen am ISBW
Sophia Maria Garitz
Makarenkostr. 8
17491 Greifswald
Tel.: 0171 3885770
Mail: sophia.garitz@isbw.de

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Schwangerschaft und Geburt

Die Schwangerschaft und die Zeit vor und nach der Geburt sind eine besondere Zeit: Unter Aufregung und Vorfreude mischen sich viele Fragen und manchmal auch Sorgen und Ängste. Auch gerade jetzt in Zeiten von Kontaktbeschränkungen, Ausgangssperren und Stellenabbau in den Geburtskliniken. Wie kann ich mich auf die Geburt vorbereiten? Wo möchte und kann ich entbinden? Welche Unterstützung erhalte ich nach der Geburt? In diesem Blogbeitrag beleuchten wir einige Aspekte rund um diese Themenblöcke und führen konkrete Ansprechpartner*innen und Familienleistungen auf.

Ist eine Schwangerschaftsberatung auch für mich hilfreich?

Diese Frage stellen sich sicherlich einige Frauen. Die Fachkräfte in den Beratungsstellen vor Ort haben ein vielschichtiges Wissen rund um die Schwangerschaft und geben Auskunft zum finanziellen Rahmen und zu rechtlichen Fragen. Sie sind aber auch Ansprechpartner*innen in Konfliktsituationen in der Familie oder mit dem Partner und beraten bei emotionalen Belastungen. Die Beratung der Fachkräfte wird von einem sehr großen Teil der Frauen in Anspruch genommen. Zu einem kleineren Teil nutzen auch Paare die Möglichkeit der Beratung. Vor allem die sozialen Beratungen und die Unterstützungsleistungen bewirken, dass mehr als jede zweite schwangere Frau eine Beratungsstelle aufsucht. Die Fachkräfte beraten kostenlos, auf Wunsch anonym, unabhängig von Nationalität und Konfession, vertraulich und unter Einhaltung der Schweigepflicht.

In Mecklenburg-Vorpommern gibt es eine Vielzahl an Schwangerschafts(konflikt)-Beratungsstellen. Über die interaktive Karte können Sie sich Beratungsstellen in Ihrer Nähe heraussuchen.

Wo soll ich entbinden?

Diese Frage stellen sich viele Paare im Laufe einer Schwangerschaft. Die Möglichkeiten sind sehr verschieden und sollten an das eigene Wohlbefinden angepasst werden. Die meisten Babys werden in Deutschland in Kliniken geboren. Wenn keine Risikoschwangerschaft besteht, das Baby gesund ist und sich nicht vor der 36. SSW ankündigt, kann auch ein Geburtshaus oder eine Hausgeburt eine gute Alternative sein. Viele Frauen erleben hier die Geburten besonders störungsfrei, selbstbestimmt und in entspannter Atmosphäre. Für andere ist es für das eigene Sicherheitsempfinden wichtig, Ärzte und beste medizinische Versorgung direkt in der Nähe zu wissen und fühlen sich in der Klinik wohler.

Es lohnt sich, die verschiedenen Entbindungsorte kennenzulernen, um eine eigene Wahl zu treffen. Geburtskliniken und -Häuser bieten regelmäßig Informationsveranstaltungen an (abhängig von den aktuellen Hygienebestimmungen ist auch ein digitaler Rundgang in einigen Geburtskliniken möglich).

Doch was wenn die Geburtsstation in meiner Nähe schließt? So geschehen aktuell auf der Insel Rügen. Die einzige Geburtsstation auf Deutschlands größter Insel muss aufgrund von Personalmangel schließen. Die nächste Möglichkeit für Menschen auf Rügen wäre das Krankenhaus in Stralsund. Das entspräche für werdende Insel-Eltern eine Fahrtzeit von 30 bis 60 Minuten je nach Wohnort. So wie auf der Insel Rügen sieht es mancherorts in den ländlichen Regionen von MV aus. Der demografische Wandel und die rückläufigen Geburtenzahlen (Im Jahr 2020 wurden in MV insgesamt 12.062 Kinder geboren. Das ist der niedrigste Stand seit 2013) führten und führen zu Schließungen in den wirtschaftlich betriebenen Krankenhäusern.

Was ist Geburtshilfe?

Die Geburtshilfe ist ein Teilbereich der Frauenheilkunde und beschäftigt sich mit der Überwachung von Schwangerschaften sowie der Vorbereitung, Durchführung und Nachbehandlung von Geburten. Hebammen und Entbindungspfleger sind die Fachkräfte rund um die Schwangerschaft, Geburt und die Zeit danach und verstehen sich als Fürsprecher*innen der schwangeren und gebärenden Frauen.

Nach der Geburt hat jede gesetzlich krankenversicherte Frau zwölf Wochen lang Anspruch auf die Unterstützung einer Hebamme, bei Bedarf auch bis zum Ende der Stillzeit. Die Hebamme hilft und berät in dieser Zeit bei allen Fragen, die das Kind und die Gesundheit der Mutter betreffen. Die Wochenbett-Betreuung umfasst vor allem die Betreuung von Mutter und Kind – Rückbildung der Gebärmutter, Wundheilung, Wochenfluss, Stillen, Milchstau, Rückbildungsgymnastik, Trinkverhalten des Säuglings, Säuglingspflege etc.

Was ist eine Familienhebamme?

Familienhebammen und Familien-Gesundheits- & Kinderkrankenpfleger*innen begleiten Frauen/Familien, die in verschiedener Weise stark belastet sind, ab der 9. Woche nach der Geburt bis zum Ende des 1. Lebensjahres ihres Kindes. Eine Familienhebamme kommt – wie eine Hebamme – zu Ihnen nach Hause. Sie unterstützt dabei, dass es Ihnen und Ihrem Baby gut geht, es sich gut nach der Geburt entwickelt und der veränderte Alltag gemeinsam gelingt. Die Familienhebamme zeigt Ihnen wie man selbst die gesunde Entwicklung des Babys unterstützen kann oder worauf sie bei der Erziehung achten sollten. Sie begleitet Sie außerdem bei Arztbesuchen oder Behördengängen.

Ebenfalls kann eine Familienhebamme bei besonders schwierigen Situationen hilfreich sein. Wenn Sie zum Beispiel alleinerziehend oder sehr jung sind, finanzielle oder gesundheitliche Probleme haben oder sich in Ihrer Partnerschaft nicht gut fühlen, kann sie beratend zur Seite stehen.

Die Betreuung durch eine Familienhebamme bzw. eine Familien-Gesundheits- & Kinderkrankenpflegerin ist für die Familie kostenfrei. Die Familienhebamme bzw. die Familien-Gesundheits- & Kinderkrankenpflegerin wird aus dem Landesprogramm Familienhebammen finanziert.

Auf der interaktiven Karte finden Sie Gesundheitsämter in ihrer Nähe. Die Experten vor Ort vermitteln die Familienhebammen und Familien-Gesundheits- &Kinderkrankenpfleger*innen.

 

Dies war nur ein kleiner Einblick in die breite Themenwelt der Schwangerschaft und Geburt. Sie suchen nach weiteren Themen und Informationen? Dann schauen Sie gern auf unseren Themenseiten vorbei. Prüfen Sie, welche Familienleistungen für Sie relevant sind und wo Sie weitere Ansprechpartner*innen in Ihrer Nähe finden.